– Juni 2010 –
Samstag, 5. Juni 2010
Jedes Jahr findet in Kornelimünster der Historische Jahrmarkt statt. Die Anreise per Auto ist mangels Parkplätzen frustrierend und per Bus aufgrund der hoher Fahrgastfülle und niederer Fahrfrequenz eher stressig. Fahrrädlich ist Knollimünster über den Vennbahnweg hingegen ideal zu erreichen. Dort erwarteten uns vor der malerischen Kulisse der Altstadt Fahrgeschäfte wie auf einer Kirmes zu Kaisers Zeiten und allerlei Handeltreibende. Bei einem dieser Händler fand ich meinen neuen Mitbewohner. Er war sooo süüüß, ich musste ihn einfach adoptieren!
Weil’s fast auf der Strecke lag, spielten wir auf Hin- und Rückfahrt die Bauaufsicht bei einem zusehends im Werden begriffenen Haus. Obwohl die Bauherren alle Hände voll zu tun hatten, gewährten sie uns eine kurze Führung sowie einen kräftigenden Imbiss.
Sonntag, 6. Juni 2010
Noch historischer als der Historische Jahrmarkt ist der Annamarkt in Düren. Dieser findet nur alle drei Jahre statt und versetzt die Besucher in die Zeit des ausgehenden Mittelalters. Besonders nett ist dabei, dass man nicht bei jedem Marketender seine Taler lassen musste, sondern vieles einfach angucken und ausprobieren konnte. Viele Beteiligte liefen in klassischen Kostümen umher. Und auch die Verpflegung war recht rustikal und wohl dem mittleren Zeitalter gemäß – wenn man sich die eine oder andere Frittenbude einmal wegdenkt …
Montag, 7. Juni 2010
Vor zehn Jahren trat ich die Stelle als Projektleiter bei Senioren ins Netz an. Das Projekt, in dem wir Menschen ab 55 den Weg in die Wundervolle Weite Welt (deshalb nennt man es WWW) des Internets bereiteten, war für drei Jahre finanziert. (Es läuft immer noch, inzwischen auf größtenteils ehrenamtlicher Basis. Hammer!) Damals dachte ich ernsthaft, dass man im Jahre 2010 sicher nicht mehr viele solcher Veranstaltungen für Senioren brauchen würde. Die Älteren würden wir nach und nach alle erfasst haben und die Jüngeren wären wohl von selbst hineingewachsen.
Nun, weit gefehlt. Nach wie vor gibt es viele, die sich erfolgreich um die Computerei herumgedrückt haben und nun merken, dass diese neumodische Technik doch nicht so einfach vorbeigeht. (Gerade im Gegenteil, das wird immer heftiger: Selbst wenn man sich heute nur einen harmlosen Fernseher kaufen möchte, setzt das fundierte Kenntnisse oder besser noch ein paar Semester Unterhaltungselektronik voraus: LCD, Plasma, Halbbilder, Vollbilder, HD-ready, HDTV, HDMI, Halbbilder, Bildzeilen, Set-Top-Box, native 16:9-Auflösung, … Und dann kann man den Apparat noch nicht einschalten!)
Meine ohnehin schon breitgefächerte Angebotspalette ist ab sofort um Einzelunterricht erweitert. Außer VHS-Kursen für viele Teilnehmer erteile ich nun auch exklusive PC- und Internetlektionen bei den Wissbegierigen zuhause. Das hat viele Vorteile: Mein erwachsener Schüler hat mich 90 Minuten lang ganz für sich allein, das, was er in vertrauter Umgebung am eigenen Rechner lernt, funktioniert genauso auch, wenn ich später nicht mehr zugegen bin und ihm genau auf die Finger schauen kann – und ich spare mir die Hin- und Herrennerei zwischen einem Dutzend Teilnehmern sowie die ebenso zahlreichen wiederholten Erläuterungen.
(Wer nun einen wässrigen Mund bekommen hat und mich für sich oder seine Lieben buchen möchte: Mich kann man mieten – denken Sie auch ans bevorstehende Weihnachtsfest!)
Meine aktuelle Kundin begehrte ein neues Computersystem. Gewiss, Windows 98 war eine schöne Sache, aber … (Dieses Betriebssystem ist so alt, da gibt es schon kaum mehr Viren mehr für!) Nun ist sie stolze Besitzerin eines schnieken Notebooks mit allem Zipp und Zapp. Die Kaufberatung und Einrichtung der grundlegenden Einstellungen oblag mir. Wie stets glaubt ja jedes überflüssige Progrämmchen, einen Tribünenplatz auf dem Desktop verdient zu haben. Nix da!
Notebooks sind spottbillig geworden, gerade mal 499 Euro für ein Kistchen mit allem drin, was man im Alltag so braucht. Teuer wird es gegebenenfalls bei der Software. Das Basis-Officepaket mit Word, Excel und Outlook kostet um die 170 Euro. Damit man möglichst gar nicht erst auf die Idee kommt, ein anderes, womöglich kostenloses Textverarbeitungsprogramm wie zum Beispiel OpenOffice zu verwenden, ist Microsoft Office auf neuen Notebooks bereits vorinstalliert. Das einzige, was fehlt, ist der kostenpflichtige Lizenzschlüssel, den man zum Beispiel bei Amazon.de bestellen kann. Und hier wird die Geschichte physikalisch interessant: Eine Folge von Ziffern und Buchstaben, die man wahrscheinlich zugemailt bekommt, hat bei Amazon die Maße 1 × 1 × 1 cm und wiegt 998 g! Ich würde zu gerne bestellen, um diesen kleinen, knapp ein Kilo schweren 1-cm³-Würfel einmal zu sehen! Woraus besteht der wohl? Purem Gold? Uran? Iridium? Antimaterie?
Donnerstag, 10. Juni 2010
Die ARD war für den verwaisten Sonntagabend auf Einkaufstour: Ab Herbst 2011 talkt Günther Jauch nach dem Tatort. Freuen wir uns also auf ein innovatives und unterhaltsames politisches Talkformat:
(Die Verwendung der sonst üblichen Joker ist verboten: der Telefonjoker wegen unerlaubter Einflussnahme von Lobbygruppen, der Publikumsjoker wegen Populismus und der Fifty-fifty-Joker, weil schon lange keine Partei mehr fünfzig Prozent erreichen kann.)
Freitag, 11. Juni 2010
Die WM™ beginnt. Mittags überzeugte ich mich davon, dass in einer gelegentlich erwähnten Pinte am Fuße der Pontstraße beamermäßig alles bestens gerüstet ist fürs Public Viewing …:
Für den unerwarteten Gewinn an Lebenszeit sollte ich mich eigentlich beim Erfinder der Vuvuzela bedanken. Fünf Minuten nach dem ersten Anpfiff traf ich die Entscheidung, dass die Südafrikaner bei ihrem Kickreigen leider, leider ohne mich auskommen müssen. Diesjahr werde ich mir nur die wirklich absolut wichtigen und essentiellen Spiele im Fernsehen ansehen. Also wahrscheinlich keine.
Für spätere Generationen: Vuvuzelas sind längliche Plastiktröten, die klingen wie ein außer Kontrolle geratener Hornissenschwarm und mit ihrem monotonen Brummen alles übertönen, was an atmosphärischen Lebensäußerungen ein Fußballstadion sonst erfüllt: den Jubel, die Fangesänge, die Buhrufe, die Pfiffe des Schiedsrichters und die Flüche des Torwarts nach dem Elfmeter. Und sie erfüllen den Tatbestand der Körperverletzung
Zum Glück mangelt es den Vuvu-Virtuosen auf deutschen Straßen offenbar (noch) an Lungenvolumen und Blastechnik, um die verheerenden Kapazitäten zwischen A und Ais des horriblen Instruments voll auszuschöpfen.
(Wenn mir allerdings da draußen jemand voll ins Gesicht tröten sollte, schiebe ich es ihm mit Schwung dahin, wo die Sonne niemals scheint!)
Samstag, 12. Juni 2010
Da wir nachmittags am unteren Niederrhein zu allerlei Festivität erwartet wurden, nutzten wir den Vormittag zu einem kurzen Sightseeing in der Nähe. Die Römer-, Dom- und Siegfriedstadt Xanten ist ein schmuckes Städtchen voll sichtbarer römischer, mittelalterlicher und mythologischer Vergangenheit und liegt in der Nähe der Stadt, deren Bürgermeister Esel heißt, wie einem jedes handelsübliche Echo auf Anfrage bestätigen wird.
Nach dem Lustwandeln durch die Gässchen und nach der Besteigung der noch in Betrieb befindlichen Kriemhild-Windmühle verschafften wir uns mit dem Nibelungen-Express einen weiteren Überblick – und mussten feststellen, das ein paar Stündchen nicht reichen, um die zahlreichen Sehenswürdigkeiten zu sehen und zu würdigen. Das Römer-Museum und das Freilichtmuseum mit originalen und rekonstruierten römischen Bauten zum Beispiel mussten wir auslassen.
Durch Zufall gerieten wir aber in einen Bollywood-Aufmarsch. Die Schönheiten vom Lande hatten sich in bunte Tücher gewandet und ließen sich auf dem Marktplatz bereitwillig ablichten. Da ich meine Kamera wie stets im Anschlag trug, hieß das Motto: Ran an den Speck!
Nach Abschluss der touristischen Stippvisite überquerten wir den Rhein (rhenus fluvius est!) und gelangten ins wilde Germanien. Dort auf dem flachen Land erwartete man uns bereits mit allerlei lukullischen Lustbarkeiten sowie ungeahnter Darbietung von Natur: ein verspäteter Maikäfer, die Heidschnucken Heidi und Schnucki sowie geschäftiges Treiben unter der vermeintlich Oberfläche.
Sogar Elektrizität gab es – wenn man den pittoresk in die Landschaft gestellten Strommasten Glauben schenken möchte. Ferner wurde erfolgreich ein Handynetz vorgetäuscht. Bemerkenswert, wo doch das Ende der Welt (gleich hinter den rot-weiß gestreifte Warnbaken) schon gut sichtbar ist.
Off-topic:
Was ist rosa, steht auf einem Bein und hat ein Chromosom zuviel?
Antwort: Ein Flamongo …
Sonntag, 13. Juni 2010
Aber eigentlich schon eher:
Montag, 14. Juni 2010
Fröhlicher Patriotismus mit hübschem Fahnengewinke in allen Ehren, aber: Muss man um drei Uhr in der Nacht immer noch grölend und hupend durch die Innenstadt marodieren, bloß weil elf Männer im fernen Südafrika ihr erstes Fußballspiel der Gruppenphase gegen einen harmlosen Gegner gewonnen haben?
Mittwoch, 16. Juni 2010
Was zum Teufel verbuddeln die denn da seit Wochen unter der Straße? Ich will heim!
Seit der Umgestaltung meiner Fernbedienung hat sich mein Fernsehkonsum gravierend geändert: Beim Zappen komme ich selten über die digitalen Zusatzprogramme der Öffentlich-Rechtlichen hinaus. Und da fast alle meiner letztens an dieser Stelle noch glorifizierten Lieblingsserien beendet oder in Sommerpause sind, habe ich mich zum aggressiven Doku-Konsumenten entwickelt. Nach einem Vierteiler über die Germanen oder Dokumentationen über die Sintflut und den Essener Dom fühle ich mich informationell rundum grundversorgt und bestens gerüstet, falls Jauch mal fragt.
Die lächerlichen 18 Euro Rundfunkgebühren pro Monat koste ich bis zum Anschlag aus! Ich schröpfe die GEZ wie noch was! Hahahaha! *diabolisch lach*
(Gewiss: Man muss ein paar Klippen umschiffen. Zum Beispiel diesen dummsabbelnden, lispelnde Scheitel im ZDF-Morgenmagazin oder die stets paarweise auftretenden trutschigen Dauergrinser ohne Oberlippe nachmittags im WDR bei »daheim und unterwegs«. Aber immerhin kann man da wie dort kann viele Tassen gewinnen …)
Donnerstag, 17. Juni 2010
In der Mayerschen Buchhandlung kann man nicht nur mit Büchern handeln, sondern auch vortrefflich Kaffee trinken und auf den Elisengarten gucken.
Freitag, 18. Juni 2010
Um möglichst ohne Stauungen und Stockungen an einem Freitagnachmittag nach Kassel zu gelangen, gingen wir auf Nummer Sicher: Während ganz Deutschland auf dem Bildschirm dabei zuschaut, wie seine Fußballnationalmannschaft Serbien besiegt, müssten die Autobahnen doch leer sein, oder? Soweit jedenfalls der Plan … Anscheinend haben ausnahmslos alle so gedacht, denn die erste halbe Stunde Stau ereilte uns bereits zwischen dem Europaplatz und dem Aachener Kreuz. Auch die weitere Fahrt veranschaulichte plastisch, was die im Radio immer meinen, wenn sie von »zähfließendem Verkehr« sprechen.
Aber ich will nicht meckern, wir hätten ja mit der Bahn fahren können. Und wären jetzt noch unterwegs. Abermals stiegen wir im schon bekannten Motelone ab. Nein, das ist keine italienische Köstlichkeit, sondern ein Kalauer auf Kosten des Motel One im »Lohfeldener Rüssel«.
Das Motel ist vor kurzem renoviert worden. Dabei wurde die CI aufs Türkisene verlegt, was ganz gut zu uns passte. Im Zimmer roch es sogar türkis! Dessen Größe richtet sich allerdings immer noch an Menschen, die sich ganz doll lieb haben …
In besagtem Gewerbegebiet, dessen Name ebenfalls wortwitziges Potential besitzt, lockt seit neuestem ein amerikanischer Bulettenbrater, doch wie es nun Tradition zu werden scheint, kehrten wir zum Imbiss bei einem ebenfalls ansässigen Möbelhaus ein: Sollen die Schweden doch morgen ihre Traumhochzeit feiern, wir gingen schon heute mal schick schwedisch Köttbullar essen. Und morgen gibt es dann in Lohfelden eine Traumhochzeit. Und eine Traumtaufe!
Samstag, 19. Juni 2010
Alles Gute zur Hochzeit, Moni und Tobi! Alles Gute zur Taufe, Charlotte!
Sonntag, 20. Juni 2010
Diesmal keine Photomontage: Dieser Wagen stand original so an der Ampel vor uns, nachdem wir wieder aus Kassel zurück waren:
Es verwundert, dass dieses Nummerschild mit bloß vier Nieten gesichert war. Ob der Chauffeur der arrivierten Karrosse auch eine standesgemäße Heavy-Metal-Kutte trug, ist leider nicht überliefert.
Montag, 21. Juni 2010
Nur so:
Was ist weiß, liegt am Strand und ist nur schwer zu verstehen?
Antwort: Eine Nuschel …
Mittwoch, 23. Juni 2010
Bei steigenden Temperaturen zog es mich dann doch abends zum Public Viewing von Deutschland–Ghana auf den Markt, um ein paar schwarzrotgoldene Eindrücke zu sammeln.
Wer längere Zeit nicht zugeschaut hatte, musste sich zunächst orientieren: Wer sind denn unsere? Und wozu brauchen die elf Schiedsrichter auf dem Platz? Erklärung: Das deutsche Team trug seine zweite Garnitur, die schwarzen Trikots für auswärts. Auch die Namen der deutschen Spieler machen es einem nicht leicht, wenn man wie ich nur zu WM-Zeiten Fuppes guckt: Boateng, Cacau, Gómez, Khedira, Özil, Trochowski …
Das war der feiernden Jugend aber weitestgehend egal. Das durchschnittliche Alter ließ nur einen Schluss zu: Die meisten waren bei der letzten WM™ sowieso noch nicht geboren …
Donnerstag, 24. Juni 2010
Die Vorberichterstattung und die Analyse waren heute weitaus interessanter als das eigentliche Spiel der Niederlande gegen Kamerun. Denn der WM-Truck von RTL machte auf dem Markt Station – und mit ihm Günther Jauch und Jürgen Klopp! (Wenn Günni den Kloppo mit zur ARD nehmen würde, könnte mit dem Sonntagabend nichts mehr schief gehen.)
Außerdem begrüßten sie noch Sylvie van der Vaart auf der Bühne, deren Mann anscheinend auch Fußball spielt, wie man hört. Und der Künstler K´Naan sang live seinen Hit »Wavin’ Flag« – wozu das Publikum jedoch keiner Aufforderung mehr bedurfte.
Cooles Programm am lauschigen Donnerstagabend. Und das gerade mal eben um die Ecke bei freiem Eintritt. (Bei Public Viewing hört man die Vuvuzelas aus dem Stadion gar nicht mehr so sehr.)
Um anschließend an ein Autogramm von Kloppo zu kommen, zeigte so manche vollen Körpereinsatz …
Samstag, 26. Juni 2010
Ein elaborierter Flashmob namens »Aachen MP3 Experiment« fand nachmittags im geschätzten Elisengarten statt. Diesmal gab es nicht nur drei Minuten schräge Aktion, sondern 20 Minuten davon, und zwar nach Anleitung. Zur Vorbereitung sollte man sich auf der zugehörigen Homepage eine MP3-Datei herunterladen, diese auf seinem MP3-Player speichern, sich im Elisengarten einfinden und exakt um 14 Uhr auf »Play« drücken sowie den weiteren Anweisungen folgen.
Natürlich durfte man das Soundfile keinesfalls vorher anhören! Und genauso natürlich hörte ich mir das Soundfile vorher an! Denn ich gedachte angesichts der Temperaturen keinesfalls, mich übermäßig zu bewegen, sondern lieber entspannt ein paar Bilderchen zu knipsen, wie es mir süße Dokumentaristenpflicht ist. Und es ist von unschätzbarem Vorteil, zu wissen, was andere Menschen im nächsten Augenblick tun werden, noch bevor diese selbst es wissen.
Diesen Spaß versuchten die anonymen Veranstalter allerdings im Vorfeld zu vermiesen. Auf der Homepage war zu lesen: »Wenn jemand dieses Event für die Presse dokumentieren möchte, darf er dies nur durch die Teilnahme, nicht bloßes Beobachten. Presse-Kameras sind nicht erlaubt, wir haben ein tolles Team, das die Dokumentation durchführen wird.« Eine recht eigenwillige Auslegung der Pressefreiheit. Photo- und Berichtverbot? An einem öffentlichen Ort? Leute, wenn Ihr Abgeschiedenheit und Pressehoheit wollt, dann veranstaltet Eure Aktion in einem dunklen Keller, in China oder im Iran!
Trotz oder gerade wegen des tollen Wetters war die Teilnehmerzahl überschaubar, ein gutes Dutzend machte mit, als ein »Jakob« mit nervig verfremdeter Stimme, unterlegt von grausamem Geigengefiedel, befahl, in alle möglichen Himmelsrichtungen zu zeigen, mit den Armen zu kreisen, sich in Grüppchen zusammenzufinden oder eine Polonaise zu vollführen. Da die meisten anderen Besucher des wohl gefüllten Elisengartens die Sonne anhimmelten, erregten die paar Aktivisten wenig Aufmerksamkeit. Das »tolle Team, das die Dokumentation durchführen wird« war auch zugange; wenn ich richtig gezählt habe, kam auf fünf Teilnehmer jeweils ein Photograph.
Auch aktiv, aber weniger konspirativ war die Jugend beim Streetsoccer-Turnier auf dem Holzgraben:
Sonntag, 27. Juni 2010
Das erste WM-Spiel, was ich komplett und mit Sinn und Verstand angesehen habe, war das heutige Achtelfinale. Natürlich im Egmont und natürlich in netter Gesellschaft, wie einst im Mai. Deutschland rächte sich ein weiteres Mal für Wembley ’66 an England. Die Zuschauer wurden mit einem zünftigen 4 zu 1 verwöhnt. Und bekamen ein Tor gratis dazu …
Abends waren wieder Jauch und Klopp live auf dem Markt. Man könnte sich glatt an die beiden gewöhnen. Für die Fernsehübertragung kommentierten sie mithilfe des Klopp-o-maten tapfer die Begegnung Argentinien–Mexiko. Das tangierte die anwesende Menge aber nur extrem peripher: Man johlte weiterhin »’schland« und wedelte mit Schwarzrotgold. Ich unterstelle mal frech: Die meisten Jungens brauchen nur einen Anlass, um in Gemeinschaft Bier zu trinken und ihre Mädels brauchen einen Anlass, um sich hübsch anzuziehen und zu schminken. Und wiederum wurde der ganze Körper eingesetzt, um ein Autogramm zu erhaschen.
Montag, 28. Juni 2010
Alles Gute zum Geburtstag, Nicole!
Dienstag, 29. Juni 2010
Da ich dieses Jahr viel zu spät in die WM eingestiegen bin, habe ich mich auch den diversen Tippspielen versagt. Für die K.o.-Runde beteiligte ich mich nun aber doch an der Wer-kennt-wen-Tipprunde. Dort spielen quasi alle Teilnehmer gegeneinander, in der Rangliste bekommt man jedoch nur seine Bekannten angezeigt. Seit heute stehe ich auf Platz Nummer 10, dem höchsten Rang unter denjenigen, die ich kenne. (Gut, das tun 15.000 andere von 190.784 Leuten auch …) Dies ist aber umso bemerkenswerter, da ich einfach alle Spiele vom Achtelfinale bis zum Finale stoisch 2:1 getippt habe – egal wer nun gegeneinander spielt.
Mittwoch, 30. Juni 2010
Spielfreier Tag. Was sieht das Grundgesetz für diesen Fall vor. Mal schauen … ach ja, den Artikel 54 (1) Satz 1: »Der Bundespräsident wird ohne Aussprache von der Bundesversammlung gewählt.« Sollte es nach drei Wahlgängen immer noch unentschieden stehen, erfolgt Elfmeterschießen.
Nachdem sich der beleidigte Köhlerhorst letztens den großen Zapfen streichen ließ, gab es höchste Zeit für Neuwahlen. Immerhin ist in den letzten fünf Wochen eine Menge Arbeit aufgelaufen: Oder wer hat denn statt seiner die ganzen Ehrenurkunden bei den Bundesjugendspielen unterschrieben? Na also.
Die große Frage war: Gewinnt Christian Wulff, der Traum aller Schwiegermütter, die Wahl? Oder wird's doch der Schwiegervater, Joachim Gauck? Oder anders ausgedrückt: Würde Frau Merkel ein großer Wulff gelingen oder würde sie einen Super-GAUck erleben?
Mal wieder war die Kandidatenfindung ein unwürdiges parteipolitisches Geschacher, und die Wahl wurde zum Duell mit gottweißwas für Folgen hochstilisiert. Um dem ein für alle Mal Einhalt zu gebieten, schlage ich hiermit zweierlei Modi alternativ vor:
Erstens: Das Amt des Bundespräsidenten wird abgeschafft, fertig. Es wird sich schon wer finden, der uns ordentlich repräsentiert, hin und wieder das Parlament auflöst und bei seinen Reden den jeweils aktuellen Satz heil nach Hause bringt. Dadurch würde auf lange Sicht auch das stets wachsende Heer von Ex-Bundespräsidenten (derzeit Stücker drei) verkleinert, die mit 199.000 Euro Ehrensold per annum lebenslang ein karges Dasein fristen müssen.
Zweitens: Wir buchen uns einen Bundespräsidenten auf Lebenszeit. Anschließend wird der Posten vererbt. (Der Herr Wulff hat doch eine schöne junge First Lady, die im gebärfähigen Alter ist … – die zwar strenggenommen Second Lady ist, aber egal.)
Anders als die Bundesversammlung in Berlin konnte ich mir den Abend nett gestalten. Eigentlich wollte ich ein paar bei knapp 30 Grad schwitzende und kollabierende Sportler beim Lousberglauf knipsen, blieb unterwegs aber beim Egmont hängen. Über die neuen Medien blieben wir stets auf dem Laufenden, was im dritten Wahlgang in Berlin so vor sich ging.
Eine letzte Frage aber bleibt:
Wir haben also nach vielen langen Wahlgängen endlich einen neuen Präsidenten – warum fahren jetzt keine schwarzrotgoldenen Autokorsos hupend über die Chausseen?!
Vuvu Seeler