II. Bildnerisch-kreative Medien

II.1. Der medienpädagogische Ansatz in der Sozialpädagogik

Der Begriff des Mediums oder der Medien ist vielschichtig belegt. In der allgemeinen Bedeutung dienen Medien der Unterstützung der Kommunikation im weiten Sinne. Als »die Medien« werden kurz die sogenannten Massenmedien bezeichnet. Weiterhin wird im okkultistischen-spiritistischen Umfeld vom Medium gesprochen. Und schließlich gibt es die Bedeutung im sozialpädagogischen Sinne, um die es in vorliegender Arbeit geht.

Im allgemeinen Sinne sind Medien Träger von Informationen aller Art. Sie sind Mittel, die zwischen zwei oder mehr Personen oder Gegenständen stehen. Ihr Zweck ist es, deren Kommunikation untereinander zu unterstützen oder sogar erst zu ermöglichen. Die Kommunikationswissenschaft spricht von Zeichen, Symbolen und Bildern als Medien im Sinne von Mitteln zur Verständigung. Meist bilden die Medien ein komplexes Zeichen- und Informationssystem, welches die Kommunikation zwischen zwei oder mehr Partnern stützt. Im klassischen Modell der Kommunikation nach Watzlawick und anderen (vgl. Watzlawick/Beaven 1969) wird von einem Sender ausgegangen, der eine Nachricht einem Empfänger zukommen läßt. Diese Nachricht wird vom Sender mittels verbaler und nonverbaler Codes verschlüsselt und ist vom Empfänger entsprechend zu entschlüsseln. Medien stehen im Kommunikationsprozeß also zwischen dem Sender und dem Empfänger einer Nachricht. Das Medium dient als Projektionsfläche für die Botschaft, die übermittelt werden soll. Auf dem Weg vom Sender zum Empfänger ist die Botschaft an ein Medium gebunden. Seine Funktion ist der Transport von Inhalten. In der Regel ist dieses Medium die Wortsprache. Allerdings laufen auch große Teile der Verständigung zwischen Menschen über nichtverbale Kommunikationssysteme und -mittel ab.

Unter Medien werden im allgemeinen Sprachgebrauch heutzutage oft ausschließlich die technischen Medien oder auch Massenmedien verstanden. Auch die Massenmedien stellen eine Verbindung oder Beziehung zwischen mehreren Personen oder Geräten her. Diese Medien – auch Massenkommunikationsmittel genannt – weisen jedoch ein spezielles Kommunikationspotential auf: Die Aussagen des Senders werden nur indirekt, einseitig und öffentlich vermittelt. Empfänger der Aussagen ist in der Regel ein breites Publikum, daher spricht man von »Massen«. Da in der Regel keine direkte Rückmeldung des Empfängers möglich ist, spricht man ferner von »Einwegkommunikation«. Man unterscheidet zwischen alten und neuen Medien: Zu den alten Medien gehören die Printmedien, wie Buch, Zeitung und Zeitschrift, die Hörmedien, wie Schallplatte, Kassette und Radio, sowie die visuell-technischen Medien, wie Fernsehen, Video und Film. Zu den neuen – ebenfalls technischen – Medien gehören Satelliten- und Kabelfernsehen, Bildschirmtext und der Computer samt Datenautobahn und Cyberspace.

Medium im okkultistischen Sinne ist eine Person als Verbindungsglied und Mittler zwischen Diesseits und Jenseits; jemand, der für Verbindungen zum übersinnlichen Bereich als besonders befähigt angesehen wird. Diese Bedeutung ist aufgrund der Seltenheit ihrer Verwendung im Rahmen dieser Arbeit zu vernachlässigen.

Medien sind Mittel zum Zweck; im Fall der Medien in der Sozialpädagogik sind sie natürlich Mittel zur Erreichung pädagogischer Ziele. Zweck des Medieneinsatzes ist Kommunikation mit künstlerischen Mitteln. Hierbei ist der Unterschied zur Kunst zu beachten. Ohne an dieser Stelle auf die kontroverse Diskussion über den Begriff Kunst – der in der Regel auf das Kriterium Qualität abstellt – im einzelnen einzugehen, läßt sich sagen, daß Kunst in der Regel zweckfrei ist, das heißt, daß Kunst um der Kunst willen geschaffen wird, daß also zunächst kein weiterer Zweck dahintersteht. Medien sind allenfalls künstlerisch orientiert: Sie besitzen einen Eigenwert in der Gestaltung, einen eigenen Reiz oder eine eigene Aussagekraft. Ihre Funktion sind bewußte Gestaltung und Ausdruck. Die einzelnen Medien könnten auch für sich selber stehen, ähnlich wie Kunst. Da sie aber bewußt als Mittel zu einem Zweck eingesetzt werden, sind sie in der Sozialpädagogik nicht Selbstzweck. Somit geschieht das kreative Gestalten in kommunikativer Absicht, nicht in künstlerischer. Es geht sowohl um den Ausdruck als auch die sinnliche Wahrnehmung mittels künstlerischer Medien. Die Produkte dieser kreativen Gestaltungen interessieren jedoch nicht so sehr wie die kommunikativen Prozesse, die während des Gestaltens ablaufen. Wenn man die Ästhetik im weiten Sinne als Lehre der sinnlichen Wahrnehmungen definiert, verbindet sozialpädagogisches Arbeiten mit Medien also Ästhetik mit Kommunikation. Alles zielt ab auf Kommunikation mit ästhetischen Mitteln.

Wenn im Folgenden von Medien gesprochen wird, ist stets diese sozialpädagogische Bedeutung des Begriffs gemeint.

Die Aufzählung der Arten von sozialpädagogisch nutzbaren Medien läßt auf die Vielfalt der Ausdrucksmittel schließen, denn diese Medien gliedern sich in folgende Bereiche:

All diese Medienbereiche haben gemeinsam, daß sie auf dem eigenen – produktiven oder rezeptiven – Tun der Teilnehmer beruhen. Kombinationen aus verschiedenen Bereichen bieten sich an; oft stehen die einzelnen Medien in einem Zusammenhang, so daß multimediale Arbeit naheliegend ist. Als Beispiele seien genannt: das Malen nach Musik; Rhythmik als Mischform von Musik und Bewegung.

Medien sollten nicht mit Methoden verwechselt werden. Methoden sind der Oberbegriff für Hilfsmittel und Wege jeglicher Art, um einen Zweck zu erfüllen. Eine Methode beschreibt die Art des planmäßigen Vorgehens. Die Medien, welche einen Teilbereich der Methodenvielfalt ausmachen, sind ebenfalls Hilfsmittel, allerdings künstlerisch orientierte.

In der Didaktik der Erziehungswissenschaft und im Schulbereich werden pädagogische – und oft technische – Hilfsmittel als Medien bezeichnet. Es handelt sich dabei um Lehr- und Lernmittel, wie zum Beispiel Landkarten, Bücher, graphische Darstellungen, technische Geräte, Modelle, Sammlungen, Filme und so fort. Auch in der Sozialpädagogik werden derlei Methoden und Techniken eingesetzt, um bestimmte pädagogische Ziele zu erreichen. Dazu gehören zum Beispiel Brainstorming, Visualisierung auf Plakaten und ähnliches. Aber auch Techniken wie etwa Gesprächsführung, Themenzentrierte Interaktionelle Methode oder Psychodrama werden Methode genannt. Insbesondere wird bei den Methoden der Sozialarbeit zwischen Einzelfallarbeit, Groupwork und Gemeinwesenarbeit unterschieden.

Hauptziel beim Einsatz von Medien ist die Förderung der Kommunikation. Der kommunikative Austausch kann vielfach über die Medien eingeleitet und erweitert werden. Das Entscheidende ist nicht das Produkt des schöpferischen Tuns – sei es Gestalten, Musizieren oder Spielen –, sondern das Tun selbst. Die Medien lassen kommunikative Prozesse zwischen den Beteiligten nicht nur hervortreten, sondern machen diese überhaupt erst möglich. Das eigene Kommunikationsverhalten und auch das der anderen während dieses Tuns wird sichtbar, so daß die sich abspielenden Prozesse der Kommunikation benennbar und bearbeitbar werden. Doch auch das Produkt hat seinen Zweck: Es bietet Anlaß zum Gespräch, es bietet Ansatzpunkte, sich anderen leichter mitzuteilen; zusätzlicher verbaler Austausch ist jedoch nicht immer notwendig. Die Kommunikation mittels Medien kann sowohl anstelle verbaler Kommunikation als auch als Anlaß zu verbaler Kommunikation genutzt werden.

Gerade bei Geistigbehinderten, die in ihren sprachlichen Möglichkeiten eingeschränkt sind, kann Medienkommunikation verbale Kommunikation ersetzen. Die Medien können Beziehung zwischen den Menschen schaffen und Interaktion ermöglichen.

Die Kommunikation kann auch mit sich selbst geschehen. Bei dieser Autokommunikation wird das eigene Selbst zum Kommunikationspartner. Im Umgang mit den Medien projiziert der Handelnde Anteile seiner selbst auf sie; er identifiziert sich damit, während des Gestaltens oder im nachhinein. Der Handelnde kann zeitlich versetzt Anteile seines Seins erkennen, die er in seinem Werk ausgedrückt hat, wenn er sich anschließend damit auseinandersetzt. Er führt auf diese Weise einen Dialog mit sich selbst über das Medium.

Medien können eine großartige Unterstützung im Erkenntnisprozeß sein. Insbesondere soziales Lernen kann sich kaum nur durch verbale Unterweisung allein vollziehen, sondern geschieht erst durch praktische zwischenmenschliche Erfahrung. So bietet das Arbeiten mit Medien einen relativ geschützten und überschaubaren Lernraum, aus dem heraus Erfahrungen unter Umständen auf andere Lebensbereiche übertragen werden können.

Die Arbeit mit kreativen Medien ist dadurch gekennzeichnet, daß sie neben dem zentralen Medium Sprache weitere Medien einführt, die über die verbale Ebene hinaus die Ebene des Nonverbalen, der Symbole, der Bilder ansprechen, die Ebene all dessen, was nicht oder nur schwer in Worte zu fassen ist. Medien erlauben hier einen direkteren Zugang zur Gefühlswelt der Person.

Erziehung, Bildung und Förderung geschieht in der Regel hauptsächlich auf verbale Weise. Wenn bei einer Zielgruppe wie Geistigbehinderten verbale und kommunikative Fähigkeiten eingeschränkt sind, ist Förderung oft nur möglich mittels nonverbaler Kommunikation. Hier bieten künstlerische Medien Möglichkeiten, diese Defizite auszugleichen.

Sogar allein die Zufriedenheit darüber, selbst etwas geschaffen zu haben, kann für den Teilnehmer von bleibendem Wert sein: Er hat die Aufgabe des Gestaltens bewältigt – eine Erfahrung, die ihm vielleicht im Alltag fehlt, und die ihm Mut und neues Selbstvertrauen beschert. Das bildnerisch-kreative Arbeiten fördert die Beherrschung von Werkzeugen, Materialien und Prozessen, und damit sowohl die Freude über diese Fähigkeit als auch über das Produkt als Symbol der persönlichen Leistung (vgl. Aissen-Crewett 1996).

Gerade in der sozialpädagogischen Arbeit, in der statt der bloßen Wissensvermittlung die Anregung der Persönlichkeitsentwicklung im Vordergrund steht, können Medien genutzt werden, um bestimmte Themen aufzudecken, um Kommunikation der Beteiligten untereinander zu ermöglichen, um die Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit zu fördern, um Hemmungen und Spannungen abzubauen, und um vor allem auch Spaß an der Aufnahme von Inhalten zu haben.

Medien zeichnen sich aus durch ihren Aufforderungscharakter. Sie haben ein hohes evokatives Potential und stimulierende, aktivierende Kraft. Das heißt, ihr bloßes Vorhandensein regt den Menschen an, sie zu benutzen. Umso anregender das Medium wirkt, desto direkter kann sich die Persönlichkeit mit ihm ausdrücken. Jedes Medium übt zunächst schon allein durch seine natürlichen Eigenschaften bestimmte Wirkungen auf die Beteiligten aus. So können Farben vielleicht als besonders ansprechend und auffordernd, interessante Instrumente als stimulierend und anregend empfunden werden.

Als besondere Eigenschaft ist der Spielcharakter von Medien hervorzuheben. Der Einzelne kann die Medien spielerisch gebrauchen, es geht ja – vermeintlich – um nichts. Die Beschäftigung ist zunächst ein Vollzug, der seinen Sinn in sich selbst hat.

Geeignete Medien lösen bei den Teilnehmern Erinnerungen, Assoziationen, Erwartungen, Einstellungen, Ideen und Verhaltensweisen aus, die den Lernprozeß fördern oder auch blockieren. Versteckte Aussagen kommen somit an die beobachtbare Oberfläche und können bearbeitet werden (vgl. Janson-Michl 1980).

Die Medien sind besonders geeignet, die Teilnehmer intensiv in die Arbeit miteinzubeziehen und sie im Lernprozeß zu begleiten. Die Teilnehmer können während des Gestaltens Ruhe und Zugang zu sich finden, können reflektieren und über sich nachdenken. Gedankliches und Innerliches kann konkretisiert und geäußert werden.

Beim praktischen Einsatz von Medien ist es überaus wichtig zu bedenken, daß ihre sinnvolle Verwendung immer vom methodisch-didaktischen Kontext abhängig ist. An erster Stelle steht auf jeden Fall die Zielsetzung des sozialpädagogischen Handelns. Die Wahl und der Einsatz geeigneter Medien haben sich dieser Zielsetzung unterzuordnen; sie sind nur Mittel.

Desweiteren muß das Medium selbstverständlich zur Zielgruppe und zum Thema passen. Entsprechend der Zielsetzung, der jeweiligen Gruppensituation und den einzelnen Teilnehmern müssen geeignete Medien ausgewählt werden.

II.2. Bildnerisch-kreative Praktiken im einzelnen

Abgesehen davon, daß der Begriff der Kreativität bisweilen inflationär gebraucht wird – im Sinne von: jedes Tun ist kreativ – bezeichnet er das Hervorbringen von etwas Neuem: Eine Idee wird als kreativ betrachtet, wenn sie neu ist oder neuartige Elemente enthält (vgl. Beer/Erl 1972). Dabei ist zu unterscheiden, ob dieses Neue neu ist für den einzelnen oder neu für die Menschheit. Finkel spricht von intraindividueller Kreativität (vgl. Finkel 1978), wenn eine Person etwas für sich selbst Neues erfindet oder macht. Der Gegensatz dazu ist die soziale Kreativität (vgl. Martin 1973): Es wird etwas völlig Neues für die Gesellschaft, für den Kulturkreis oder die ganze Menschheit geschaffen. Beim bildnerisch-kreativen Gestalten unter sozialpädagogischem Aspekt ist es nicht entscheidend, etwas nie vorher Dagewesenes zu schaffen. Es reicht, wenn die dargebotenen Materialien dem Einzelnen Anlaß geben, etwas für sich selbst Neues hervorzubringen. Um diesen Aspekt besonders zu betonen wird hier von bildnerisch-kreativen Medien gesprochen.

In der Arbeit mit bildnerisch-kreativen Medien sind zwei Grundperspektiven zu unterscheiden: Die des Gestalters, der produziert, und jene des Betrachters, der rezipiert. Beide Situationen sind durch das Bild verbunden und beide Tätigkeitsformen sind prinzipiell gleichwertig. Im Rahmen dieser Arbeit wird jedoch der produzierende Anteil stärker gewichtet. Dies darf allerdings nicht dazu führen, das Rezipieren als Passivität aufzufassen. Die Farben und Formen erzeugen beim Betrachter Stimmungen, Gefühle und Gedanken. Er nimmt die Elemente des Bildes auf seine eigene Weise wahr und stellt diese Einzelheiten in einen neuen Zusammenhang: Der vermeintlich passive Betrachter erschafft beim Betrachten sein eigenes Bild.

Zu den bildnerisch-kreativen Medien zählt nicht nur die Gestaltung mit Farbe, sondern jegliche Gestaltung mit elementaren Stoffen. Das Spektrum der bildnerisch-kreativen Praktiken gliedert sich in die zwei Bereiche flächiges und plastisches Gestalten.

Zum flächigen Gestalten gehört vor allem das Malen, Zeichnen und Drucken mit Farben. Ein Sonderfall des Malens, das Fotografieren – aus dem Griechischen zu übersetzen mit »Lichtmalerei« – gehört eigentlich auch zu den bildnerisch-kreativen Medien, ist aber eher den technischen Medien zuzuordnen. Mit dem Schneiden, Reißen, Knüllen, Kleben, Falten und Collagieren von bunten Papieren oder bedrucktem Papier läßt sich ebenfalls Fläche gestalten. Einen eigenen Bereich innerhalb der Flächengestaltung bilden die sogenannten aleatorischen Techniken: Vom lateinischen aleum, das Würfelspiel, abgeleitet umfassen sie »Techniken, bei denen ganz besonders viel dem Zufall überlassen wird« (Kaufhold 1979, S. 17), wie zum Beispiel das Marmorieren, Blastechnik, Klecks-Druck, Batik, Papierbatik und Emaillieren.

Das plastische Gestalten wird bestimmt von Verarbeitungsformen wie Modellieren, Formen, Gießen, Plazieren, Anordnen, Montieren, Flechten, Schnitzen, Bauen, Schaben und Bildhauern der Materialien Ton, Plastilin, Karton, Pappmaché, Gips, Leder, Peddigrohr, Holz, Metall, Kunststoff, Textilstoff, Speckstein oder Ytong-Stein.

Aus allen Praktiken sind Mischformen möglich: Bereits die Kombinationen zusammenzustellen ist ein gestalterischer Akt.

Eine entscheidende Eigenschaft bildnerisch-kreativer Medien ist ihr Aufforderungscharakter. Aufgrund ihrer Beschaffenheit, ihrer relativen Formlosigkeit und gleichzeitig leichten Bearbeitbarkeit laden sie den Einzelnen ein, ihnen Form zu geben. Sie stimulieren ihn besonders intensiv, regen ihn an zum Selbstausdruck und zur bildlich-symbolischen Darstellung seines inneren Erlebens. Bildnerisches Gestalten geht mit Spaß, Lust, Sinnlichkeit und Körperkontakt einher. Weil Malen und Gestalten als lustvoll erlebt wird, ist die Bereitschaft zu diesen Tätigkeiten besonders hoch.

Bildnerisch-kreatives Gestalten hat sowohl eine Verbindung zum lustbetonten Spiel als auch zur leistungsbetonten Arbeit. Röttger spricht vom Spiel mit den bildnerischen Mitteln: »Wie bei jedem echten Spiel ist auch beim Spiel mit den bildnerischen Mitteln das Ergebnis nicht bekannt. […] Der Sinn des Spiels liegt nicht im Verwendungszweck des Ergebnisses, sondern in ihm selbst, in einem befreienden Tun, das besonders für die Menschen des technischen Zeitalters heilsam und beglückend sein kann.« (Röttger/Klante 1966, S. 8)

Weil bildnerische Materialien weder eine fertige, funktionsgebundene Form noch eine spezielle festgelegte Bedeutung haben, eignen sie sich besonders als nonverbale Ausdrucksmedien, da sie vom Gestaltenden nach Wunsch und Phantasie in selbsterdachte Formen und Zusammenhänge gebracht werden können. Bildnerisch-kreatives Gestalten eröffnet dem Einzelnen einen Freiraum für selbstbestimmtes Handeln, sowohl in bezug auf die formale als auch auf die inhaltliche Bildgestaltung. Das Was – die freie Wahl der Farben und der Technik ihres Auftrags – und das Wie – die inhaltliche Gestaltung – sind ganz der eigenen Entscheidung überlassen. Das bildnerisch-kreative Gestalten ermöglicht durch diesen Freiraum »eine stärkere Auseinandersetzung mit der eigenen Person und deren Eingebundenheit in die soziale und gegenständliche Umwelt. Diese Auseinandersetzung vollzieht sich weniger auf einer rational intellektuellen Ebene, sondern vor dem Hintergrund des gestaltenden Handelns.« (Anderl 1979, S. 387) Neben der Offenheit der Lösungen und Variabilität in der Handhabung überlassen sie es darüberhinaus jedem Einzelnen, an der Oberfläche des lustbetonten Tuns zu bleiben oder in die Tiefe des Erlebens zu gehen.

II.2.a.) Malen

Die wichtigsten bildnerischen Praktiken zur Flächengestaltung sind das Malen, Zeichnen und Drucken:

Malen ist die von Farbe bestimmte Gestaltung von Fläche. Neben Punkt und Linie ist die Fläche selbst das wichtigste Bildmittel. Der Malende erzeugt in der Regel mit einem Pinsel und mittels Formen und Farben auf einem Untergrund eine unbewegte visuelle Struktur. Das Wort »malen« geht auf das althochdeutsche »malon« zurück, welches »mit Zeichen versehen« bedeutet (vgl. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion 1963)

Unter Zeichnen versteht man im allgemeinen ein bildnerisches Verfahren, zu dem hauptsächlich Punkt und Linie als Bildmittel verwendet werden. Oft wird auf Farben verzichtet, es gibt nur Hell-Dunkel-Kontraste. Zeichnen wird auch als graphisches Gestalten bezeichnet. Daß Zeichnen ein Medium ist, läßt sich schon an der Verwandtschaft der Wörter »Zeichnen« und »Zeichen« erahnen: »Zeichnen« heißt »mit einem Zeichen ausdrücken, anzeigen, nachbilden« (vgl. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion 1963).

Drucken ist ein graphisches Verfahren, bei dem die Farbe indirekt aufgetragen wird, mithilfe eines Druckstocks anstelle von Pinseln oder Stiften. Je nach Druckstock spricht man von Kartoffel-, Kork-, Styropor- oder Linoldruck. Man kann allerdings auch mit Schwämmen und sonstigen Gegenständen drucken, also auch mit einem Pinsel oder Stift. In den Bereich des Druckens fallen auch Lithographie und Radierung.

In dieser Arbeit werden Malen, Zeichnen und Drucken der Einfachheit halber gleichgesetzt, denn alle drei bedienen sich der gleichen Bildelemente Punkt, Linie und Fläche und lassen sich im Einzelfall kaum voneinander abgrenzen.

Bilder haben für den Menschen große Bedeutung, denn die Wahrnehmung der Welt geschieht hauptsächlich mit den Augen. Die moderne Welt ist geprägt von einer Bilderflut, sei es im Fernsehen oder im Stadtbild, die jedoch meist nur nebenher, unaufmerksam und passiv konsumiert wird. Wenige nehmen sich die Zeit, ein Bild länger und intensiver – also rezipierend – zu betrachten.

Ebenso karg sieht es beim Produzieren aus. Die Bilderflut gereicht zu der Erkenntnis: Alles ist schon gemalt. Es gibt so viele Bilder, daß eigenes Malen gar nicht mehr nötig scheint. Oder: Alles ist schon gemalt, und zwar besser als man es selber könnte. Visuelle Effekte in Illustrierten oder TV und prominente Maler wecken so hohe Erwartungen an einen selber, daß anfängliche Motivation in Resignation umschlagen muß.

In der Gesellschaft herrscht Leistungsdenken vor. Wer am besten nachzeichnen kann, gilt als begabt. Das Ergebnis, also das Bild, muß toll aussehen. Die Entstehung zählt dem Malenden daher wenig, dem Betrachtenden noch weniger.

Malen ist meist mit einem hohen Anspruch verbunden. Die Entmutigung beginnt bereits in der Kindheit: »Durch die Frage: ‘Was soll das sein?’ suggerieren die Erwachsenen dem Kind, es müsse immer etwas intellektuell Erfaßbares oder Gegenständliches dargestellt werden.« (Martini 1977, S. 10)

Mangelnde Motivation führt zu der Aussage »Ich kann nicht malen.«, die jedoch korrekterweise heißen muß »Ich kann nicht fotorealistisch malen.«

Diese Arbeit geht von der pädagogischen Prämisse aus:

Jeder kann malen!

Malen ist kein Privileg von Künstlern oder Kunsterziehern. Jeder, der imstande ist zu sehen und einen Pinsel oder Stift zu führen, kann malen. Im Sinne der Redensart »sich ein Bild von etwas machen« als Orientierung erlangen über etwas, ist ohnehin jeder ein Maler: Indem der einzelne mit der Außenwelt in Verbindung tritt, macht er sich sein Bild von der Welt.

Wie Musik und Tanz ist Malen eine Ausdrucksform mit Zeitablauf. Das Bild und die Bedeutung des Ausdrucks sind zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich. Während des Malens durchläuft das Bild – und auch der Malende – einzelne Stadien und entwickelt sich. Der Unterschied zu Tanz und Musik ist jedoch der, daß in der Malerei der letzte Zustand dieses Prozesses sichtbar bleibt, es bleibt das Bild.

Neben dem Visuellen spricht das Malen auch das Kinästhetische und das Haptische an, denn Malen ist auch Bewegung und Ertasten; mal mehr, mal weniger stark. Kinder bezeichnen Malen oft auch als »streichen«. Sie geben ihrer Freude an der Bewegung Ausdruck, indem sie ohne erkennbare gestalterische Absicht das Blatt »vollschmieren« oder selbstvergessen Punkte, Striche und Schwünge vollführen.

Jedes Medium wirkt durch seine natürlichen Eigenschaften auf die Beteiligten. Die Farben des Spektrums verlocken aufgrund ihrer so unterschiedlichen und gegensätzlichen Farbigkeit besonders, mit ihnen zu gestalten. Verstärkt wird dies noch durch den stimulierenden Charakter von flüssigen Farben, auf deren Oberfläche Lichtreflexe widerscheinen und deren Konsistenz und formlose Gestalt anregen, der Farbe auch Form zu geben. Weil die Farben problemlos zu handhaben sind, lassen sie große Spontaneität zu und sorgen für eine geringe Hemmschwelle und leichteren Zugang zum intensiven Ausdruck der eigenen Gefühle und Befindlichkeit.

Malen hat immer Mitteilungscharakter. Die Mitteilung kann vom Malenden beabsichtigt und bewußt geplant sein, sie kann aber auch unbeabsichtigt erfolgen. Diese Mitteilungen können zum Beispiel Spiegel der Lebensgeschichte, Gefühle, Probleme oder Konflikte sein.

Die meisten Menschen denken beim Stichwort Malen an ihre Erfahrungen in Kindheit und Jugend. In jungen Jahren wird viel gemalt, sowohl innerhalb von darauf ausgelegten Institutionen, zum Beispiel im Kindergarten oder im Kunstunterricht, als auch außerhalb von Institutionen, zum Beispiel zu Hause oder unerwünschterweise während des Mathematikunterrichts. Beim Mal- und Kunstunterricht in der Schule geht es vor allem um die naturgetreue Abbildung eines Menschen oder Gegenstandes. Wie das Bild zustandekommt, ist in der Regel unwesentlich. Entscheidend ist das Produkt, das meistens benotet wird. Zuhause zu malen hat mehrere Funktionen: Die eines Hobbys, der Freude am Gestalten oder der Selbsterfahrung.

Erwachsene malen nicht mehr so häufig: Weil mit Malen meistens Kinder oder Künstler assoziiert werden, wird das Malen ausschließlich als deren Beschäftigung angesehen. Außerdem wirkt wieder der hohe Anspruch, den jeder an sich selbst stellt, hemmend.

In der Psychologie und in der Medizin wird das Malen als Mittel zur Diagnose verwendet. Der Inhalt und Ausdruck eines Bildes wird interpretiert, und anhand dessen können Rückschlüsse auf die Psyche des Klienten gezogen werden. Es wurden spezielle Entwicklungs- und Persönlichkeitstests erarbeitet, die auf dem Malen aufbauen (vgl. Kaminski/Spellenberg 1975).

In Mal- und Bastelstuben wird meistens auf originelle Resultate hin gearbeitet (vgl. Egger 1981). Mit verschiedensten Techniken und Materialien werden Kinder und Erwachsene auf Möglichkeiten des bildnerisch-kreativen Gestaltens aufmerksam gemacht, wobei die Skala von genauem Abzeichnen bis zum völlig freien Gestalten reicht. Hierzu gehören Malkurse in Volkshochschulen et cetera. Das Malen wird vielfältig eingesetzt als ein Mittel zur Selbsterfahrung, Erweiterung der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Ausdrucks und Entwicklung der Kreativität.

Der Ursprung des Malens geht weit in die Vergangenheit des Menschen zurück. Zeugnisse dafür sind die Felsbilder der vorgeschichtlichen Zeit, deren Zweck – etwa funktional als Anleitung zur Jagd oder Selbstzweck als Kunst – bis heute nicht geklärt ist. Malen spielte immer eine Rolle in Kult und Mythos. Neben den Höhlenzeichnungen geben die Wandmalereien der frühen Hochkulturen und die Wand-, Buch- und Altarmalerei des Mittelalters und der Renaissance darüber Auskunft.

Das Malen kann große Bedeutung für den Einzelnen haben. Es ist ein elementares Bedürfnis des Menschen, Spuren zu hinterlassen, also zu malen im weiten Sinne. Schon kleinste Kinder beginnen auf einem Blatt – oder einer sonstigen Unterlage – zu kritzeln, wenn sie eines Schreibgerätes habhaft werden können. Bachmann spricht von dem Kritzeln des Kindes als »seiner ersten bleibenden Spur«. Sie sieht Analogien zum Spurenhinterlassen in anderer, weit bedeutsamerer Form: »Wie entscheidend ist es beispielsweise für die Entwicklung des Kindes, wenn es sich der Kontrolle über seine Ausscheidungen bewußt wird.« (Bachmann 1993, S. 71) Andere Gelegenheiten des Spurenhinterlassens sind Fuß- oder sonstige Körperabdrücke in Sand oder Schnee. Das Hervorbringen und Verfolgen der eigenen Spuren ist eng mit Lust und Freude verbunden (vgl. Bachmann 1993). Buber nennt dieses elementare Bedürfnis »Urhebertrieb« (vgl. Buber 1969).

Die Faszination des Malens begründet sich durch den zutiefst schöpferischen Charakter dieser Tätigkeit: Erst ist da nichts, nur ein leeres Blatt. Mit Hilfe der Farben kann eine eigene Welt entstehen. Trotz der Bindung an die Fläche ist das Malen gegenüber den plastischen Gestaltungspraktiken die freieste, weil es die prinzipiell unbeschränkte Möglichkeit zur Gestaltung jeder existenten Wirklichkeit oder rein gedanklichen Vorstellungen beinhaltet. Insbesondere das Malen zeichnet sich vor allem durch seine Offenheit aus. Es steht dem Malenden frei zu entscheiden, auf welche Weise er mit dem Material umgehen möchte. Er kann beispielsweise die Farben auf das Papier malen, tropfen, spritzen oder reiben. Es ist ihm keine zwingende Vorgehensweise vorgeschrieben. Auch der Inhalt des Bildes ist von Freiheit bestimmt. Das gilt für das gegenständliche Malen genauso wie für das informelle Malen, welches nicht die Abbildung äußerer Wirklichkeit, sondern die einer inneren autonomen Wirklichkeit mittels Formen und Farben zum Ziel hat. Das leere Blatt ist eine Spielwiese, die zum Austoben einlädt. Auf dem Blatt ist alles erlaubt, der Malende ist König, der absolutistisch alles bestimmt. Das gilt für Erwachsene wie für Kinder: »Die entstandene Linie gehört dem Kind, sie untersteht seinem Willen, es kann mit ihr spielen, es kann sie weiterziehen oder es kann sie so lassen. Das Kind hat mit diesem ersten eigenen Tun wesentlich an Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung gewonnen.« (Bachmann 1993, S. 72)

Die psychologische Entwicklung läßt sich auch anhand des Malens nachvollziehen, denn die Fähigkeit zu malen und zu zeichnen entwickelt sich ebenfalls. In den Bildern der Kinder lassen sich abhängig vom Lebensalter verschiedene Stufen erkennen, die beim motorisch-vegetativen Malstadium beginnen und über das vorfigurative und figurative Malstadium zum realistischen Malen gelangen (vgl. Bachmann 1993, Egger 1984, Mühle 1975). Ziel des Malens ist dabei nicht, ein möglichst weit entwickeltes Malstadium zu erreichen.

Jede Gestaltungstechnik bestimmt sich durch die spezifische Beschaffenheit ihrer Submodalitäten, der verwendeten Farbpigmente, Bindemittel und Malgründe. Das weite Spektrum an Farben, Auftragsarten und Malgründen eröffnen dem Einzelnen schier unendlich viele Möglichkeiten zur Gestaltung.

Die Maltechniken sind grob in flüssige und feste zu unterscheiden. Zu Malfarben gehören immer Farbpigmente und spezifische Bindemittel. Nach dem Bindemittel sind die Farben dann meist benannt. Bei den flüssigen Farben sind dies Wasser-, Aquarell-, Guache-, Tempera-, Finger-, Dispersions- und Acrylfarbe, Lacke, Öl-, Seidenmal-, Stoffmal- und Batikfarbe, Tusche und Tinte. Sie lassen viel Freiheit in der Handhabung, sie sind sowohl deckend, also unverdünnt, als auch zur Lasur verdünnt aquarellierend oder gar eingedickt pastos verwendbar. Ein Sonderfall sind reines Pigment oder Farbpulver, das ohne Bindemittel auf einen Malgrund aufgetragen wird. Die Maltechniken mit festen Farben werden bestimmt von Blei- und Graphitstift, Zeichenkohle, Holzmal- und Aquarellstift, Tuschefeder, Füllfederhalter, Kugelschreiber, Fasermaler, Tafel-, Pastell- und Ölkreide, Wachsmalstift und Wachsmalblock.

Die Möglichkeiten des Farbauftrags sind ebenso vielfältig und eröffnen dem Malenden einen großen Freiraum. Die Farbe kann auf den Malgrund gebracht werden mittels Malen, Zeichnen, Drucken, Spritzen, Tropfen, Sprühen, Blasen oder Tauchen. Der Farbauftrag kann geschehen mit Fingern, Händen und Füßen, mit Haar- und Borstenpinsel verschiedener Größen, mit Schwämmen, Federn, Druckstöcken oder sonstigen Gegenständen.

Als Malgrund kommen verschiedene Papiersorten in Frage, die sich durch unterschiedliche Eigenschaften auszeichnen: Saugend, fein oder grob, rauh oder glatt, weiß oder bunt, dünn oder stark. Außerdem läßt sich malen auf Pappe und Karton, auf Holz und Preßspan, auf Stoffe und Textilien, wie Segeltuch, Seide, Kleidungsstücke und natürlich Leinwand, auf Glas, Metall, Kunststoffe und alle möglichen Gegenstände. Darüberhinaus bieten sich Wände, Böden und Straßen zum Bemalen an, wie die gesprühten Grafitti im urbanen Lebensraum bezeugen. Fehlen alle diese Malgründe kann immer noch der eigene Körper oder Teile desselben bemalt werden.

II.2.b.) Weitere bildnerisch-kreative Medien

Zu den weiteren bildnerisch-kreativen Medien gehören vor allem die Praktiken der plastischen Gestaltung. Diese zeichnen sich durch eine teilweise komplizierte und sehr festgelegte Handhabung aus, so daß sie weniger Freiheit erlauben. Sie gehören schon eher in den Bereich des Werkens und bedürfen umfangreicher Vorkenntnisse und Übung. Auf der anderen Seite gibt der Umgang mit solchen Materialien Anlaß zum Lernen: Der Gestaltende muß sich den Gesetzmäßigkeiten des Materials und der Schwerkraft anpassen. Er sieht, daß es nicht immer so geht, wie er will, und er sieht, warum es nicht so geht, wie er will.

Eine Ausnahme unter den komplizierten Techniken des plastischen Gestaltens ist die Arbeit mit Ton. Weil sie wenig Vorkenntnisse verlangt, kann sich jeder spontan an ihr versuchen. Daher ist sie für sozialpädagogische Zwecke gut geeignet und findet hier ausführlichere Erwähnung:

Ton ist ein Naturprodukt, das unmittelbar aus dem Boden gegraben wird. Er ist dem Lehm ähnlich, der als Urstoff der Erde bereits in der Schöpfungsgeschichte erwähnt wird: Gott erschuf den Menschen aus Lehm. Ton hat eine menschheitsgeschichtliche Vergangenheit, denn seit jeher werden Gegenstände mit meist hohem Gebrauchswert daraus hergestellt.

Weil er leicht zu formen und zu bearbeiten ist, regt Ton mehr als andere Werkstoffe zur Aktivität an. Ton hat jedoch nicht sofort einen so unmittelbaren und hohen Aufforderungscharakter wie etwa Farbe, da er kaum visuelle Reize bietet. In seiner üblichen Ausgangsform ist er unscheinbar, einfach ein unförmiger Klumpen. Erst wenn man ihn in die Hand nimmt, regt er zum Gestalten an und bietet die Möglichkeit, beliebig damit umzugehen. Wie das Malen befriedigt er das Bedürfnis, Spuren zu hinterlassen.

Wie die anderen knetbaren Werkstoffe spricht Ton das Tastgefühl und das Bedürfnis nach Formgebung unmittelbar an. Jeder hat von Natur aus das Verlangen und die Fähigkeit, einer solchen ungeformten Masse Gestalt zu geben. Das Modellieren ist die direkteste Form der Gestaltung, es ermöglicht direkten Handkontakt. Veränderungen können auch ohne Werkzeuge, ganz unmittelbar nur durch Finger und Hände vorgenommen werden. Das Begreifen hat sehr mit dem Greifen an sich zu tun: Bereits im Säuglingsalter ist das Tasten neben dem Schmecken der wichtigste Kanal der Rezeption.

Ton ist vor allem ein Ausdrucksmedium und eher auf die Kommunikation mit der eigenen Person gerichtet (vgl. Janson-Michl 1980). In bezug auf zwischenmenschliche Kommunikation bietet er verhältnismäßig wenig Möglichkeiten. Er eignet sich somit besonders als Medium zur Selbsterfahrung, um den Schaffenden in Kontakt mit seinem Gefühlsbereich zu bringen.

Auch Ton bietet ein reiches Spektrum der Variationen in der Verarbeitung. Selbst ohne Werkzeuge sind zahlreiche Knetformen möglich. Beim ersten Kontakt setzt sich der Gestaltende mit dem Material zunächst spielerisch auseinander. Er drückt, klopft und rollt den Ton, bohrt Löcher hinein und formt Kugeln, Rollen und Platten. Auch das schiere Matschen zum Kennenlernen des Materials ist legitim. Nach dieser Zeit des Probierens kann allmählich in gegenständliches oder figürliches Gestalten übergegangen werden. Ton bietet Anlaß zur Betätigung mit Fingern, Händen oder gar dem ganzen Körper. Da das Tongebilde – solange es nicht getrocknet ist – ständig umgestaltet werden kann, kann der Gestaltende Themen entwickeln und sie nach dem inneren Fluß seiner Gefühle und Phantasien entfalten.

II.3. Sozialpädagogische Funktionen des bildnerisch-kreativen Gestaltens

Weil Malen eine Form des Ausdrucks mit zeitlichem Verlauf ist, verwandeln sich sowohl das Bild als auch der Malende während der verschiedenen Stadien des oft langandauernden Malprozesses ständig, und das einzige, was letztlich sichtbar übrigbleibt von diesem Prozeß, ist dessen letzter Zustand, nämlich das fertige Bild. Demzufolge wird dem Produkt allgemein größte Bedeutung zugeschrieben und der Akt des Malens insgesamt nur nach dessen Ergebnis beurteilt. Und bei dieser Einschätzung steht vor allem die – subjektiv empfundene – Schönheit oder die möglichst naturalistische Wiedergabe des Abgebildeten im Vordergrund. Es zählen meist nur die Kriterien von Leistung und Erfolg.

Im Gegensatz dazu ist aus sozialpädagogischer Sicht der Entstehungsprozeß eines Bildes von herausragender Bedeutung. Hier wird die ereignisreiche Genese des Bildes besonders beachtet. Während des Malens verändert sich der Malende und auch die soziale Umgebung, in der gemalt wird. Es entsteht nicht bloß ein Bild – was als kreativer Akt allein schon hoch zu schätzen ist -, es laufen auch innere und äußere Vorgänge mit den Malenden ab: Auf der Seite des Individuums sind das aufkommende Gefühle und sich entwickelnde Gedanken, auf der Seite der Gemeinschaft sind es kommunikative Ereignisse und das Entstehen von Beziehung. Es kommt darauf an, was mit dem Malenden, mit dem Stoff, den wir behandeln, und mit der Gruppe passiert. Die spezifischen Eigenschaften bildnerisch-kreativer Medien erfüllen zahlreiche sozialpädagogische Funktionen, bei denen zu unterscheiden ist zwischen solchen, die primär für den Einzelnen zutreffen, und solchen, die für eine Gruppe Malender zum Tragen kommen.

Dem Individuum dient der Umgang mit bildnerisch-kreativen Medien der Entfaltung seiner Persönlichkeit, Identitätsfindung und Selbstverwirklichung. Malen kann hier als »sich ein Bild von der Welt machen« aufgefaßt werden und dem Einzelnen zur Orientierung über Inneres und Äußeres gereichen.

Aufgrund des spielerischen, zu Experimenten auffordernden Charakters kann anhand des Malens gelernt werden, die Sinne bewußter zu gebrauchen. Sowohl die visuelle, die haptische und die kinästhetische Wahrnehmung wird dadurch differenziert und verbessert. Insbesondere die visuelle Wahrnehmung wird sensibilisiert: Um etwas bestimmtes malen oder nachmalen zu können, muß dieses schon genau betrachtet werden. Malen kann also zu bewußterem visuellen Wahrnehmen und Entdecken der dinglichen und sozialen Umwelt führen. Es kann die Beobachtungsgabe und das Unterscheidungsvermögen von Farben, Formen und Strukturen schärfen. Das Gestalten hilft dem Malenden so bei seiner Auseinandersetzung mit sich selbst und führt zu stärkerer Bewußtmachung sowohl der sächlichen als auch der sozialen Umwelt. Er setzt sich analysierend mit Umwelt- und Daseinsphänomenen auseinander, kann Wahrnehmungen, Erlebnisse und Probleme verinnerlichen und verarbeiten.

Das Gestalten ermöglicht Erkenntnis und Lernen ganzheitlich in drei Dimensionen: körperlich, emotional und rational-kognitiv. Daher ist es nötig, auch die Wechselwirkung der körperlichen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten in den Lernprozeß miteinzubeziehen. Lernen vollzieht sich beim medialen Gestalten nicht wie bei eher konventionellen Lehrverfahren allein in der rational-kognitiven Dimension durch Aufnahme und Wiederholung von Informationen, sondern wird über praktisch handelnde und persönlich emotionale Erfahrung angeregt. »Lerninhalte und Themen erhalten damit für den Betroffenen eine persönlich ‘be-greifbare’ Bedeutung.« (Janson-Michl 1980, S. 8)

Die gestalterische Bearbeitung von Materialien verlangt nach Entscheidungen. Die Wahl der Farbe oder Form muß jedes Mal aufs Neue getroffen werden. Somit bietet das bildnerisch-kreative Gestalten einen geschützten Übungsraum für das Erlernen der Fähigkeit zu selbständigen Entscheidungen, seien sie noch so klein und scheinbar unbedeutend.

Der Mensch erfährt sich selbst am deutlichsten in Grenz- oder Ausnahmesituationen, in denen er Ungewohntem gegenübersteht und besonders gefordert wird. Für die meisten ist das Malen solch eine ungewohnte Situation. Der Umgang mit Farben ermöglicht direkte, sinnliche Erfahrung – sowohl über sich als auch über andere. Sehr schnell wird die Selbsterfahrung ein wichtiger Teil des Malens.

Der Malende erfährt während des Malens, daß er seine Bilder auf die gleiche Weise angeht und organisiert wie sein Leben (vgl. Egger 1984). Er gerät daher wahrscheinlich beim Malen automatisch in dieselbe Art von Schwierigkeiten wie im sonstigen Leben. Durch das Erkennen solcher Verhaltensmuster erschließt sich der Einzelne einen neuen Aspekt im Bild von sich und kann bei Bedarf daran etwas verändern.

Ähnlich wie Musik schafft das Malen recht schnell Zugang zu den emotionalen Bereichen der Person. Weil es Ratio und Emotio gleichermaßen anspricht, dient es der Förderung von Selbstausdruck und der Darstellung des eigenen Erlebens. Es hilft, Empfindungen freizusetzen, Sensiblem nachzuspüren und bereichert somit die eigene Gefühlswelt.

Durch den spontanen unreflektierten Ausdruck seiner Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse, Erfahrungen und auch Traumata öffnet das bildnerisch-kreative Gestalten den Zugang zum Unbewußten des Einzelnen. Es erschließt das Unbewußte jedoch nicht nur, sondern trägt auch zu dessen Strukturierung bei. Denn je deutlicher das Unbewußte Struktur erlangt, desto mehr entfaltet sich das Bewußtsein. Bildnerisch-kreatives Gestalten beinhaltet also auch bewußtseinsbildende Kräfte, die zur Selbstwerdung und Individuation jedes Einzelnen beitragen.

Bildnerisch-kreative Medien stellen nonverbale Ausdrucksmöglichkeiten bereit. Durch den bild- und zeichenhaften Ausdruck können individuelle Erlebnisse, Bedürfnisse, Gefühle, Probleme und Konflikte erst vergegenwärtigt und dann artikuliert werden, und zwar über eine primär emotionale Ausdrucksebene im Gegensatz zum stärker intellektuell und rational geprägten sprachlichen Ausdruck. Anhand des Gestaltens kann der individuelle Ausdruck differenziert werden. Die eigene Formensprache wird erweitert und die Darstellung des eigenen Erlebens begünstigt. Das Umsetzen eines geistigen Bildes kommt dem individuellen Bedürfnis nach Mitteilung und Ausdruck entgegen.

Die bildnerisch-kreative Tätigkeit kann momentane Freude und Glücksgefühle hervorrufen. Wegen des meditativen Charakters kann sie auch der Kontemplation dienen. Während des Malens wird der gesamte Mensch in Anspruch genommen, er kann in sich gehen, zur Ruhe kommen und Sinn in seinem Dasein unmittelbar erfahren.

Das Gestalten kann kathartische Wirkung haben. Katharsis ist ein innerseelisches Geschehen, bei dem Reinigung und Läuterung geschieht. Durch bildnerisch-kreatives Gestalten kann sich der Einzelne von Bedrückendem befreien. Dabei werden Probleme, Konflikte und Ängste durch den Umgang mit bildnerisch-kreativen Materialien nach außen abgeführt; die innere Spannung wird dadurch abgebaut. Indem Gefühle wie Angst, Traurigkeit oder Verzweiflung mittels Projektion auf das Bild geäußert werden, werden sie faßbar. Die Gefühle werden gebannt und können so überwunden werden. Der Betreffende erlebt diese Möglichkeit des Abreagierens als zumindest vorübergehende Entlastung. Ausdruck bedeutet hier also auch Druckausgleich: Ein Druck bewegt sich von einem Gefäß – die Person – in ein anderes – das Bild (vgl. Bachmann 1993).

Das Gestalten kann der Lockerung, Entspannung und Erholung dienen. Als Gegensatz zu den oft monotonen, stereotypen und weitgehend fremdbestimmten Tätigkeiten im Arbeitsleben übernimmt das freie und selbstbestimmte Gestalten Ventilfunktion. Der Mensch kann einen wesentlichen Bereich seines Lebens erschließen, der im alltäglichen Berufsleben unberücksichtigt bleiben muß. Zudem bereichert bildnerisch-kreatives Gestalten die Freizeit als Alternative zu Sport und Fernsehen, welche auch diese Ventilfunktion erfüllen.

»Jedes Gestalten ist ein Ordnen.« (Röttger/Klante 1966, S. 7) Das Experimentieren mit verschiedenen Farben und Materialien gibt Anlaß zu abstrahieren, zu analysieren und wieder neu zu organisieren. Indem der Einzelne sein Material gestaltet und ordnet, erwirbt er diese Fähigkeit auch für andere Lebensbereiche. Das bildnerisch-kreative Gestalten gibt dem Leben innerlich und äußerlich Struktur: Zum einen kann das Ordnen von Formen und Farben auf das innerliche Ordnen von Gedanken und Gefühlen übertragen werden. Zum anderen kann die Fähigkeit zur Gestaltung des Bildes zu der Erkenntnis führen, daß auch die eigene Umwelt und das eigene Leben gestaltet werden kann. Entscheidend ist das eigene Handeln: Der Mensch wird nicht nur passiv angepaßt, sondern ist als Handelnder in der Lage, die Umwelt seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechend zu verändern und seine Potentiale zu entfalten.

Somit unterstützt bildnerisch-kreatives Gestalten die Fähigkeit zur Problemlösung. Oft schafft sich der Malende, wenn er – gegenständlich oder abstrakt – malt, in seinen Bildern eine neue Welt. In diesen Wunschdarstellungen seiner Phantasie werden Tatsachen zurechtgerückt, über- oder untertrieben oder frei erfunden. Er findet jedoch immer kreative, also neuartige, Lösungen zu einem Problem. Im geschützten Raum der Maleinheit kann der Geistigbehinderte eine Aufgabe eigenständig zu lösen versuchen. Die Erfahrungen beim Malen und Gestalten können dann auch auf andere Lebensbereiche übertragen werden. Wenn dies gelingt, wird die Fähigkeit trainiert, auch andere Lebenssituationen autonom und kompetent zu bewältigen. Indem der Einzelne sein bildnerisches Werk kreativ gestaltet, erwirbt er gleichzeitig die Fähigkeit zur kreativen Gestaltung seines Lebens. Durch bildnerisch-kreative Medien werden also all jene Fähigkeiten entwickelt, die auch in anderen Lebensbereichen zu kreativem Verhalten führen. Sie regen an, Ideen zu entwickeln und neue Wege zu gehen. »Wer im gestalterischen Bereich es schafft, die starren Formen zu verlassen oder zu erweitern und neue Ausdrucksformen zu finden, schafft dies auch oft im Sozialbereich.« (Janson-Michl 1980, S. 76)

Das bildnerisch-kreative Gestalten sorgt für das befriedigende Erlebnis, etwas mit den eigenen Fähigkeiten selbst zu erschaffen. Durch das Erfolgserleben einer gelungenen Gestaltung und entsprechende Anerkennung von außen werden die Ich-Kräfte und das Selbstvertrauen gestärkt. Kreatives Tun wirkt sich auf die Stimmung aus und kann die Grundeinstellung eines Menschen prägen und ihm das Bewußtsein vermitteln, ein Problem lösen und selbst etwas fertig bringen zu können. Dieses Gefühl eigener Wirksamkeit und eigener Verursachung wird umso mehr als Stolz auf das Geleistete und als Befreiung empfunden, weil eine Äußerung in die Welt dem Einzelnen sonst oft versagt ist. Denn wer im Arbeitsleben nicht den üblichen Leistungserwartungen gerecht werden kann, kann dann wenigstens Bestätigung des eigenen Könnens im Malen finden: Selbstbestätigung durch Selbstbetätigung. Die motivierende Wirkung des Erfolgserlebnis’ dieser lustbetonten Tätigkeit fördert das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und erhöht die Frustrationstoleranz und Ausdauer.

Besonders für eine Gruppe, in der gemalt wird, erfüllt vor allem der Malprozeß sozialpädagogische Funktionen, weniger das Bild:

Der Hauptzweck der Arbeit mit bildnerisch-kreativen Medien, die Kommunikation, ist zweigliedrig: Zum einen fungiert das Gestalten zur Kompensation von defizitärem Kommunikationsvermögen. Weil Malen und Gestalten nonverbale Kommunikationsformen sind, ermöglichen sie jemandem, dem – aufgrund welcher Ursache auch immer – die Worte fehlen, die bildhafte Auseinandersetzung mit Umweltphänomenen verschiedenster Art. Beim Einsatz von Malen in der Gruppe geht es also um den Ersatz verbaler Sprache durch bildnerische Mittel. Zum anderen begünstigt Malen die Förderung von Kommunikation und Interaktion: Erst durch das Malen kommt es zu kommunikativen Prozessen. Die Beschäftigung mit den Medien bietet als Grundlage für ein Gespräch Anlaß zu Kommunikation. Sowohl über den Gestaltungsprozeß wie auch über das Gestaltungsprodukt sind Kommunikationsprozesse möglich.

Wenn Kommunikation stattfindet, treten Menschen notwendigerweise miteinander in Beziehung. Insofern hat das Malen und Gestalten beziehungsstiftende Funktion. Es ermöglicht als Bindeglied erst das Zustandekommen einer Gruppe. Eine Gruppe besteht aus mehreren Personen, die miteinander in Kontakt stehen, bestimmte Rollen einnehmen und spezielle Normen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln. Die Kontaktaufnahme des Einzelnen mit anderen geschieht während oder nach dem Malen über das Bild, und führt zur Überwindung persönlicher Isolation. Sowohl über den Herstellungsprozeß wie auch über das Werkprodukt können sich pädagogisch wichtige Sozialbeziehungen ergeben. Das Malen regt gruppendynamische Prozesse an, während derer sich die Gruppe erst entwickeln kann.

Das Zustandebringen einer Gruppe mit den dazugehörigen Phänomenen hat den sozialpädagogischen Zweck, Gelegenheit zu schaffen für soziales Lernen. Anhand des Zusammenwirkens beim Gestalten in diesem überschaubaren – und auch geschützten – Rahmen, kann der Einzelne Einblick gewinnen in die sozialen Prozesse, die beim Vollzug zwischenmenschlicher Beziehungen auftreten, und neue soziale Verhaltensweisen ausprobieren. Bei der alltäglichen Arbeit in der Werkstatt für Behinderte müssen die Geistigbehinderten nur wenig kooperieren. Der Leiter der Arbeitsgruppe dort kümmert sich darum, daß der Arbeitsablauf reibungslos funktioniert. Das heißt allerdings auch oft, daß jeder einzelne nur mit seiner Aufgabe und nur mit sich selbst beschäftigt ist. Zusammenarbeit beschränkt sich meist auf das Zusammenarbeiten im selben Raum. Bei Kooperationsübungen in der Gruppe kann ohne verbale Sprache und mit größtmöglicher Anschaulichkeit gelernt werden, sich auf einen Partner einzustellen, eigene Bedürfnisse und Interessen mit dem anderen abstimmen, eine gestellte Aufgabe partnerschaftlich zu planen und durchzuführen und dabei entstehende Konflikte zu erkennen, auszutragen und zu bewältigen. Der Einzelne kann den Umgang mit sich selbst und anderen verbessern. Er erlangt Einsicht in die Unterschiedlichkeit der Menschen: Er lernt die Bedürfnisse anderer zu respektieren, jedoch gleichzeitig auch seine eigenen zu behaupten. Zu den sozialen Fähigkeiten, die für ein funktionierendes und zufriedenstellendes Zusammenleben mit anderen notwendig sind, gehören ferner: Interesse an den anderen, Gemeinschaftsgefühl, Entscheidungen treffen und gemeinschaftliches Handeln und Kooperation. Bei kooperativen Aktivitäten kann der häufig mit sich selbst beschäftigte Mensch schließlich lernen, Verantwortung für die anderen zu übernehmen.

Die in diesem geschüzten Raum gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse können vom Einzelnen dann auf andere Lebensbereiche außerhalb der Gruppe übertragen werden (vgl. Bernstein/Lowy 1978, 1982).

II.4. Medienpädagogische Arbeit zwischen Kunsttherapie und Kunsterziehung

Auch bei Kunsttherapie und Kunsterziehung werden bildnerisch-kreative Medien eingesetzt, jedoch aus anderer Intention.

Der Begriff der Therapie wird in der Literatur oft – bisweilen auch zu oft – verwendet, was eine allgemeingültige Begriffsbestimmung erschwert. Zudem wird häufig unzutreffend als Therapie bezeichnet, was eigentlich weniger anspruchsvoll Förderarbeit genannt werden sollte. Gleiches trifft für den Begriff Kunsttherapie zu. Therapie richtet sich in der Regel an Patienten, die an einer psychischen oder psychosomatischen Krankheit leiden, und hat in erster Linie den medizinischen Anspruch, deren Krankheit zu heilen oder zu lindern. Sie umfaßt jede Form der Behandlung von Geisteskrankheiten, Verhaltensstörungen oder anderen Problemen, von denen angenommen wird, sie seien emotionaler Natur. Darüberhinaus ist sie auf die Entwicklung und Förderung der Persönlichkeit der Patienten ausgerichtet. Vereinfacht läßt sich sagen: Kunsttherapie ist Psychotherapie unter Zuhilfenahme künstlerischer Medien.

Ein wesentliches Bestimmungsmerkmal für Therapie ist der Ort, beziehungsweise die Einrichtung, in der die Therapie stattfindet. Eine Institution definiert, daß sie Kunsttherapie anbietet. Die gleiche Tätigkeit – etwa gemeinsames Malen -, die im schulischen Umfeld Kunsterziehung ist, kann im klinischen Umfeld Therapie sein: Entscheidend ist die Intention des Handelns. Ebenso ausschlaggebend ist die Person des Handelnden: Der Therapeut sollte eine ausgebildete Fachkraft sein, denn verantwortungsvolles therapeutisches Handeln erfordert ein umfangreiches Studium. Der Kunsttherapeut nutzt zwar auch bildnerisch-kreative Medien, doch steht bei Kunsttherapie eine andere Intention im Vordergrund.

Die Zielsetzung sowohl des Sozialpädagogen als auch der Einrichtung bei Erziehung, Förderung oder Bildung ist nicht auf Therapie in diesem Sinne ausgerichtet, auch wenn die Wirkung der Maßnahme durchaus kathartisch bis heilend sein kann. Doch sollte hier nicht Wirkung mit Intention verwechselt werden. Im Mittelpunkt sozialpädagogischer Arbeit steht der fördernde, betreuerische Charakter der Hilfe. Ferner wendet sie sich an ein breites Spektrum von Zielgruppen, die nicht aufgrund von Krankheit zur Klientel gehören, und bietet ihnen fördernde Maßnahmen an, so auch Geistigbehinderten. Wie oben bereits dargelegt, handelt es sich bei geistiger Behinderung nicht um eine Krankheit; somit ist geistige Behinderung primär nicht Gegenstand von Therapie.

Ohne auf das weite Feld der Konzepte der Kunsterziehung näher einzugehen, läßt sich sagen, daß Kunsterziehung – in der Regel der schulische Unterricht im Fach Bildende Kunst – primär auf das Malen und sonstige Gestalten abstellt. Es geht zum einen um das Betrachten von – meist klassischen – Kunstwerken und deren Einteilung in die verschiedenen Stilrichtungen, zum anderen um das Erlernen der entsprechenden Techniken für das eigene Kunstschaffen und den eigenen künstlerischen Ausdruck.

Beim Betrachten und Sichauseinandersetzen mit Kunst erfüllt das Malen und Gestalten – oder besser: erfüllen die Gemälde und Objekte – hier auch die Funktion von Medien. Dies allerdings mehr allgemein im Sinne von Massenmedien, die als Mittler zwischen Künstler und Betrachter stehen; es ist dem Betrachter nicht möglich mit dem Künstler über das Werk zu sprechen.

Beim eigenen künstlerischen Handeln im Kunstunterricht steht das Werk im Vordergrund, nicht die zwischenmenschlichen Ereignisse während seiner Entstehung: Entscheidend ist das Produkt. Eventuell kann das Bild auch zur Kommunikation dienen, falls es eine Aussage über den Malenden macht, der Maler seine Gefühle ausdrückt oder sich anhand dessen ein Gespräch entwickelt. Ausgiebige Bildbetrachtungen und Gespräche über das Selbstgeschaffene sind in der Schule jedoch die Ausnahme. Vielleicht vollzieht sich beim Akt des Malens etwas wie Selbsterfahrung oder soziales Lernen, dann jedoch nur als Nebeneffekt; intendiert ist der korrekte Umgang mit den bildnerischen Mitteln.

Bei sozialpädagogischer Arbeit brauchen die Teilnehmer kein Talent oder Begabung zum Malen. Die künstlerische Qualität eines Bildes oder Werkes ist ohne Belang. Daher ist es hier auch nicht Sinn, Malen zu lernen oder Kunstschaffender zu werden. Es geht darum, die in jedem Menschen vorhandenen kreativen Kräfte – seien sie bildnerischer Art oder seien sie im allgemeineren Sinne auf eine Gestaltung der Umwelt gerichtet – nach Möglichkeit zu entfalten.

Sozialpädagogisches Handeln mit bildnerisch-kreativen Medien hat allenfalls Erziehung durch Kunst, nicht Erziehung zur Kunst zum Ziel.

Unbeschadet dessen weist sozialpädagogische Arbeit im Einzelfall deutliche Überschneidungen mit Kunsttherapie und Kunsterziehung auf, was zum Beispiel den Ausdruck eines Bildes angeht. Dies wundert nicht, denn es handelt sich in allen drei Bereichen um das gleiche Medium. Erinnert sei jedoch noch einmal an die prinzipiell andere Intention.

 

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