Freitag, 3. September 2004
Zum ersten Mal habe ich etwas bei diesen unsäglichen Homeshoppingkanälen
bestellt: Den V-Hobel für Obst und Gemüse, in Fachkreisen
auch als »Mandoline« bekannt, dann aber aus Edelstahl
und noch teurer.
Normalerweise kaufe ich nichts, was erstens nicht im freien Handel
erhältlich ist, und wenn man zweitens dazu für teuer Geld
irgendwo anrufen muss. (Ich halte Call-Center für die einzige
Branche, die nur aus schwarzen Schafen besteht.)
Daher habe ich zeitgemäß übers Internet geordert.
Home Shopping Europe hat schnell geliefert: Es hieß, man brauche
fünf Werktage, doch schon nach 1 ½ Tagen war das Teil
da!
Ich musste diesen Nobel-Hobel einfach haben, denn im Fernsehen haben
sie gezeigt, was man damit alles machen kann: feine Streifen, dicke
Streifen, feine Scheiben, dicke Scheiben, feine Würfel, grobe
Würfel, Waffelscheiben und Spiralstäbchen.
Doch Obacht, das Gerät ist scharf wie Nachbars Lumpi. Zum Glück
gibt es einen Fingerschutz für kleine Reststücke, den
man auch tunlichst benutzen sollte, wie ich aufgrund schmerzhaftem
Übereifer weiß.
Samstag, 11. September 2004
Falls diese Einträge im Tagebuch irgendwann einmal für
längere Zeit ausfallen – sagen wir für fünf
bis zehn Jahre –, liegt das eventuell daran, dass ich meine
Haftstrafe wegen Totschlags absitze. Ich hätte nämlich
die allmählich wieder überhand nehmenden Straßenmusikanten
zum Schweigen gebracht.
Viele
Passanten denken ja, wenn sie ein Instrument sehen, dass das automatisch
mit Musik zu tun hätte, und füttern die musikalischen
Profidilettanten mit Kleingeld regelrecht an. Sie glauben, dass
es sich schon um hohe Kunst handelte, wenn jemand nur beherzt genug
auf Saiten eindrischt.
Gerne eindreschen würde ich speziell auf den Geiger, der
zur Zeit fast täglich in einer Endlosschleife die zehn nervigsten
Stücke hoch und runter geigt, darunter »Ave Maria«,
»Die Moldau«, »My heart will go on« und
»Doktor Schiwago«.
Für sich genommen sicher exzellente Werke der Tonkunst, aber
in stundenlanger Dauerberieselung reinstes Nervengift. (Weiß
das eigentlich die UNO?) Selbst nachts, wenn der Geiger seit Stunden
weg ist, klingen mir diese Titel im Kopf noch nach.
—
Ich kann die Fans des diario beruhigen, denn ich werde wohl keine
Kassiber aus dem Knast schmuggeln müssen, weil ich eben mit
dem Geigenquäler eine Übereinkunft getroffen habe: Nach
längstens einer Stunde Gefiedel verzieht er sich nun freiwillig
zu einem anderen Standort.
Mittwoch, 15. September 2004
Hurra, nach PISA und IGLU hamwer jetzt OECD. Natürlich bekommt
Deutschland wieder schlechte Zensuren. Kennt jemand Pawlows Hund?
Dem floss immer der Speichel, sobald er ein Glöckchen läuten
gehört hatte. So wie heute bei jedem, der entfernt mit dem
Thema Schule in Deutschland zu tun hat, wenn er nur das Wort Bildungsstudie
hört.
Wie wild wird sich gegenseitig der Schwarze Peter zugeschoben.
Die Politiker sagen, die Lehrer sind schuld. Die Lehrer sagen, die
Eltern machen zu wenig. Die Eltern sagen, die Schüler sind
faul. Die Schüler sagen, es liegt am System. Und das System
sagt Pustekuchen.
Hektisch werden Vorschläge zur Verbesserung aufgetischt:
- »Gemeinsame Klassen bis zur Mittelstufe.«
Ja, es wäre bestimmt lustig zu sehen, wie die kommende intellektuelle
Elite mit den Baumschülern in der Neunten den Zahlenraum
bis 100 ergründet.
- »Schulstoff schon im Kindergarten.«
Wenn endlich jedes Kind einen Kindergartenplatz hätte und
dort genug Personal verfügbar wäre, wäre schon
viel erreicht.
- »Kürzere Schulzeit.«
Kinder lernen automatisch, denn sie sind neugierig auf die Welt.
Man muss ihnen nur die richtigen Lernimpulse geben. Und das braucht
eben Zeit. Und bitte die Lebenspraxis und die soziale Komponente
nicht vergessen. Bildung besteht aus mehr als der Polynomdivision,
den unregelmäßigen lateinischen Verben und dem Zitronensäurezyklus.
(Die drei Dinge übrigens, die ich in meiner Schulzeit nie
verstanden habe.)
Sonntag, 19. September 2004
Nun mach ich mir nochmal Freunde im Osten. Für alle, die sich
in politischer Topographie nicht so auskennen: Wie jeder gutsortierte
Atlas zeigt, liegt der rechte Rand in Brandenburg und Sachsen. Denn
eine Unzahl von Brandenburgern und Sachsen haben bei der Landtagswahl
heute ihr Hakenkreuzchen bei DVU und NPD gemacht.
Liebe Ossis, montags gegen Hartz zu demonstrieren, ist ja in Ordnung,
aber sonntags den Rattenfängern von rechts auf den Leim gehen,
ist voll daneben!
Man hätte es merken können. Autobahnen wurden in der Zone
doch schon eine Menge gebaut. Bücher verbrennen üben sie
auch bereits. Oder wie war das neulich mit dieser Anna-Amalia-Bibliothek?
Einige schreien nun danach, die Mauer wieder aufzubauen. Warum nicht,
schließlich war das ja mal ein »antifaschistischer Schutzwall«.
Bernd Eichinger lässt übrigens gerade mit Bruno Ganz
für die DVD-Ost-Edition von »Der Untergang« ein
alternatives Ende drehen …
Doch es gibt auch Hoffnung: Glückwunsch SPD zum Erreichen
der 5%-Hürde …
Montag,
20. September 2004
Wer als Ich-AG bei PISA mit Fotohandy trotz
Teuro mal richtig performen will: Der neue Duden ist
da.
Es stehen fast so viele Krankheiten drin wie im Pschyrembel.
Dienstag, 21. September 2004
Letztens konnte ich nachts nicht schlafen und zappte wild durchs
Nachtprogramm. Da ich rasch alle 0190er-Entsaftungs-Spots durch
hatte, blieb ich bei Neun live hängen.
Ein offensichtlich unter Aufputschmitteln stehender »Moderator«
stellte eine vermeintlich einfache Rechenaufgabe:
»Johannes streicht einen Raum in 8 Stunden, sein Freund
Peter streicht den selben Raum in 12 Stunden. Wie lange brauchen
beide zusammen?«
Wer nun freudig erregt »10 Stunden!« in die Klasse
ruft, liegt leider falsch, setzen! Allerdings hielt das die zahlreichen
Anrufer nicht davon ab, immer wieder »10 Stunden« oder
sogar »20 Stunden« zu antworten. Aua, das wird auch
nach einem Dutzend Versuchen nicht richtig. (Es sei denn,
man argumentiert, dass die beiden erst einmal ein Kistchen Bier
tillen.)
Der unter Strom stehende Moderator nahm das zum willkommenen Anlass,
die Anrufer zu beschimpfen, wie man denn so etwas simples nicht
wissen könne. Ich vermute, er wusste es selbst nicht. Sondern
verglich nur die gesagte Antwort mit der Lösung, die ihm auf
einem Teleprompter zugespielt wurde. Und immer wieder der Vorwurf
»Brauchen Sie kein Geld?!«. Als ob man durch
Finanzknappheit zur Lösung käme. Er wurde auch nicht müde,
ständig die Aufgabenstellung herunterzubeten – anderthalb
Stunden lang quasi einmal pro Minute.
Indessen wollte ich wirklich wissen, was denn nun dabei herauskommt,
und machte mich ans Ausknobeln. Der Gewinn war mit der Zeit zu einer
erklecklichen Summe angestiegen, so dass ich eine Tarifeinheit zu
49 ¢ investierte. (Obwohl ich bei so was doch nicht anrufe
…? – Ja, ich weiß!)
Natürlich bin ich nicht durchgekommen. (Was hatte ich
auch erwartet!) Ob die Aufgabe auf dem Sender gelöst wurde,
weiß ich nicht, da ich dann doch irgendwann einschlief.
Nun wollt Ihr aber erfahren, welches denn die richtige Lösung
ist, was? Na, dann nutze ich doch mal die interaktiven Möglichkeiten
dieses Mediums und lasse Euch selber rechnen. Wer die Lösung
weiß, schreibe mir bitte eine E-Mail.
Als Gewinn gibt’s eine warme Mahlzeit und ein kühles
Getränk. (Einsendeschluss ist, wenn ich’s sage, bei mehreren
richtigen Lösungen entscheidet das Passbild.)
Mittwoch, 22. September 2004
Spaß mit Google: Falls man mal gar nicht weiß, wonach
man googeln soll, kann man sich an den Fehlleistungen der Webdesigner-Kollegen
ergötzen.
Wenn man zum Beispiel nach
»Untitled Document« sucht, erhält man 5.010.000
Fundstellen mit Homepages, bei denen der Programmierer entweder
zu faul war, ihnen einen Titel zu geben, oder schlicht nicht wusste,
dass er das überhaupt kann.
Speziell »Willkommen
bei Adobe GoLive 5« (88.500 Treffer) offenbart, das der
Chef selber Hand angelegt hat, statt jemanden zu fragen, der sich
damit auskennt.
Auch Webseiten mit Namen »Seitentitel«
(71.300) oder »Namenlos«
(34.000) sprechen für mangelnde Kenntnisse oder eher unterdurchschnittlichen
Einfallsreichtum.
Montag, 27. September 2004
In dieser Woche habe ich eine – leider unbezahlte –
schöne Aufgabe. Weil der Essensbringdienst ausfällt, bekoche
ich die Pampersrocker der »Kleinen
Sonne«. Hmm, es wird so klassische Leckereien geben wie
Möhrengemüse, Hühnerfrikassee und Nudeln mit Tomatensauce.
Alles schön kleingeschnippelt, butterweich gekocht und kaum
gewürzt. Hey, nach dem ersten Durchlauf heute muss ich konstatieren:
Das schmeckt trotzdem!
Da der Trend zur Zeit eindeutig zum Zweitkind geht, gibt es höchste
Zeit für ein Spezial im Geheimen Kochbuch mit Rezepten, die
der Papa dem Kleinkinde kochen kann, um das Erstgeborene vor dem
sicheren Hungertod zu bewahren, während die Mama mit dem neuen
Geschwisterchen im Krankenhaus liegt.
Dienstag, 28. September 2004
Auf dem Weg nach Hartz 4 (noch 307 Tage): Im Bestreben um eine
neue Festanstellung bewerbe ich mich derzeit eifrig bei potentiellen
Arbeitgebern. Bei einer nicht geringen Anzahl dieser hat sich eine
Unsitte breitgemacht: Dass man auf eine Bewerbung eine Absage bekommt,
ist nie schön. Noch blöder ist allerdings, überhaupt
keine Antwort zu erhalten, beziehungsweise erst auf Nachfrage. Das
Letzte ist aber, eine Absage zu versenden, aber ohne die Bewerbungsmappe
zurückzuschicken (»aus Kostengründen« –
ach was, und ich hatte keine Kosten?!). Auch schon dagewesen: Die
Bewerbungsunterlagen angeknickt zurückschicken und die teure
Duraclip-Mappe abgreifen.
Mittwoch, 29. September 2004
Ob das Zufall ist: In Nordrhein-Westfalen fand gestern eine »zentrale
Lernstandserhebung« statt. Und heute kippt in Köln ein
Kirchturm zur Seite. Wahrscheinlich brauchten die bloß einen
griffigeren Namen und das Ding heißt nun »KÖLN-Studie«
...

Liebe Kölner, wie erfahrene Digitalphotographen wissen, bekommt
man das Problem mit Photoshop einfach wieder geradegerückt:
- Bild
- Arbeitsfläche
drehen >
- Per Eingabe
…
- 3° gegen
UZS

Für die Freunde der Deutschen Sprache bringt die Firma Adobe
demnächst übrigens auch eine Edition ohne Anglizismen
und sonstige Fremdworte heraus.

Die Forderung nach einer Quote für deutsche Musik im Radio
macht mal wieder die Runde. Ist sich jemand im Klaren, was das bedeuten
könnte? Den ganzen Tag 2raumwohnung, Rosenstolz
und Holzmichl?! Das kann keiner ernstlich wollen.
Eine staatliche Regulierung von Radioprogrammen würde hierzulande
französische Verhältnisse schaffen. (Obwohl, ein Verhältnis
mit einer Französin, das hätte doch was … und
eine Flasche von die Bier, die so schön gekribbelt hat in meine
Bauchnabel.)
Einfacher ginge es so: Die Sender sollten freiwillig schlicht nicht
die immer gleichen Lieder von der Festplatte dudeln lassen, sondern
auch mal die B-Seiten ihrer Hits der 80er, 90er und von heute
spielen.
Aber wenn die Quote doch kommt, wünsche ich mir auch mindestens
40 Prozent deutsche Sprache bei Bahn (BahnCard, Surf&Rail, Teens
& Twens), Post (World Net, Logistic & Mail, Easytrade) und
Telekom (Calltime, enjoy-Tarif).
Und was würde sich die SPD wohl über eine 40%-Quote freuen
…
Im verzweifelten Bemühen, die generell darniederliegenden
Verkaufszahlen aufzupäppeln, verfällt die Musikbranche
auf abstruse Ideen. BMG will zum Beispiel demnächst mit CD-Wildwuchs
gegensteuern. Ein Album soll dann in drei Varianten auf den Markt
kommen:
- als Billig-Version ohne Cover mit dem Charme einer selbstgebrannten
CD. (Warum sollte ich dafür dann aber noch 10 Euro ausgeben?!)
- als Normal-Version wie bisher. (Doch als ich mir meine
letzte CD gekauft hatte, habe ich mich tags drauf mords geärgert,
denn es gab ja auch noch:)
- die Luxus-Version: Mit Extra-Titeln, umfangreichem Büchlein,
Bonus-DVD und allem Zipp und Zapp.
Soll ich mal was verraten: Der Zug ist abgefahren.
Vor circa 10 Jahre hieß es in Branchenkreisen, dass der Preis
für eine CD in absehbarer Zeit auf 40 DM steigen soll. Dieses
Ziel ist fast erreicht. Hätte man stattdessen 20 Mark (für
die Jüngeren: das sind 10 Euro) angestrebt und dafür die
gigantischen Marketingaktionen, um immer wieder nervige Teeniestars
in den Markt zu pressen, gestutzt, wären Tauschbörsen
heute ein kleineres Problem, denn der Musikfreund hätte eine
schöne Original-CD ohne Online-, Druck- und Rohlingkosten und
ohne Gewissensbisse kaufen können.
Donnerstag, 30. September 2004
Erwähnte ich nicht vor ein paar Tagen noch meine Einstellung
zur Call-Center-Branche? Gerade störte mich mal wieder eine
unterbezahlte Schwadronierkraft in meinem wohlverdienten (prust!)
Feierabend. Die Dame rief im Namen von Arcor an und wollte mich
mit einem Hammer-Angebot von der Deutschen Telekom loseisen. Ausnahmsweise
ließ ich mich auf das Spielchen ein.
Leider währte es gar nicht so lange. Nach ihrem Standardsprüchlein
fragte sie mich nämlich, ob ich eher mittel oder viel telefoniere.
Auf meine wahrheitsgemäße Antwort, dass ich kaum
telefoniere und die Grundgebühr (neben DSL) der größte
Posten auf meiner Rechnung ist, fiel ihr doch nach einer Weile stoibereskem
Gestottere tatsächlich nichts ein, was sie mir unterbreiten
konnte.
Apropos Telefonie: Mein Handy habe ich letzte Woche selig entschlafen
lassen. Es jedes halbe Jahr mit teuren Prepaid-Karten zu mästen,
nur um dafür zweimal zu telefonieren und zu simsen, lohnte
sich einfach nicht. Da ich mich meist in bevölkertem Gebiet
aufhalte, wird schon irgendwer mit Telefon in der Nähe sein,
falls mal ein Notfall eintritt.
Um T-Mobile nun nichts zu schenken, habe ich dann von zuhause die
Karte leertelefoniert. Denn der Akku war ohnehin kaputt –
mobiltelefonieren mit Netzteil ist irgendwie voll uncool …
Seitdem weiß ich, dass man mit 25 Euro XtraCard-Guthaben abends
eine knappe Stunde schwätzen kann.
Eigentlich schade, ich hatte eine so leicht zumerkende Nummer:
123 89 23. Aber wer merkt sich heutzutage noch Telefonnummern?
Und wer ruft überhaupt noch an?
Nachtrag zu Montag:
Mein Essen scheint geschmeckt zu haben, ich bin nämlich nun
stolzer Träger des »Kleinen bunten Kochlöffels«.
Hochachtungsvoll
der Vorsitzende des Vereins der Nonkonformisten
e.V.
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